Reflexe, Rezensionen, Resonanzen: Wie sich Schriftstellerkollegen, Literaturwissenschaftler, Kritiker, Übersetzer, Politiker, Freunde und andere Leser über Johannes Kühn und seine Gedichte äußerten
Das Schaffen von Johannes Kühn fand nach der schwierigen ersten Zeit der Unscheinbarkeit und des Schweigens ab 1989 eine starke Resonanz, nachdem der Verleger Michael Krüger im renommierten Carl Hanser Verlag in München sein Buch „Ich Winkelgast“ veröffentlicht hatte. Schriftstellerkollegen wie Ludwig Harig und Peter Rühmkorf sowie die Literaturkritiker der großen Zeitungen machten auf den Saarländer aufmerksam und lobten seine Gedichte zum Teil überschwänglich. Nachhaltige Wirkung hatte auch ein Film des SR-Redakteurs Fritz Kremser, der in vielen dritten Fernsehprogrammen der ARD gezeigt wurde. Kühns Gedichtbände erreichten vergleichsweise hohe Auflagen. Im Saarland galt er bald nach Ludwig Harig als wichtigster Autor der Region. Nachfolgend Stimmen zu seinem Werk und seiner Person in Auszügen, nach zeitlichem Ablauf geordnet.
Große Bühne für den Poeten: Johannes Kühn mit Irmgard und Benno Rech bei der Vorstellung seines Buches „Ich Winkelgast“ im Jahr 1989 in der Schulhalle in Hasborn. In der ersten Reihe links der Schriftsteller Ludwig Harig und seine Frau Brigitte, rechts der renommierte Münchner Verleger Michael Krüger. Foto: Wolfgang Thiry
„In diesem Sinne ist Johannes Kühn nicht der Mann aus dem Dorf Hasborn, sondern der Weltmensch, kein Allerweltsmensch natürlich, sondern ein Weltmensch besonderer Prägung: ein Weltmensch, der sich nicht besonders um die Welt kümmert und der – wie der Philosoph Kant, der nie die Mauern seiner Stadt Königsberg verlassen hat – die ganze Welt, ihre Freiheiten und Fährnisse, ihre Schönheiten und Scheußlichkeiten in seinem Kopf trägt. Und dabei ist Johannes Kühn, im Unterschied zu Kant, schon einmal in Spanien gewesen, mit einem hiesigen Reisebus versteht sich. In seinem Band „Salzgeschmack“ sagt er vom Weltmann: „Er lügt portugiesisch.“ Johannes Kühn sagt die Wahrheit auf deutsch. Und doch: wie doppeldeutig, wie hintergründig, wie listig verschlüsselt ist diese Wahrheit selbst in den scheinbar einfältigsten Lebensäußerungen!“
Ludwig Harig, saarländischer Schriftsteller, in der Süddeutschen Zeitung vom 5. Januar 1990
„Seine bedeutenderen Verse kommen von sehr weit her, und es tönen auch hörbar himmelhoch erhabene und sternenweit entrückte Stimmen in ihnen nach, der Klopstock der „Frühen Gräber“ zum Beispiel („Den Auferstehungston, wo find ich ihn?“), der Hölderlin der „Späten Hymnen“ („Nun mit den Raben am Tisch des Lands und klagend, / sie nach Brot, / ich nach Freundschaft“), der „Gesang des Abgeschiedenen“ von Georg Trakl („Von guter Hand / sind den Fluß entlang / milde Bilder gereiht“), woraus sich natürlich leicht ein erlesener literarischer Traditionsfaden spinnen läßt, was wir aber lieber mit Berührungsmagie und poetischem Aneignungszauber in Verbindung bringen möchten.“
Peter Rühmkorf, Lyriker und Essayist aus Hamburg, in einer Besprechung des Buches „Ich Winkelgast“, die am 14. September 1990 unter dem Titel „Nachruhm zu Lebzeiten“ in der Wochenzeitung „Die Zeit“ erschien und wesentlich zur Bekanntheit von Johannes Kühn beitrug.
„Es war ein milder Apriltag, wir gingen über einen großen Platz (in Mettlach) zu einer Konditorei und setzten uns an einen der schon im Freien aufgestellten Tische. Johannes hatte wieder angefangen zu schreiben, das wusste ich und fragte ihn nach der ihm zugesagten Fähigkeit, Gedichte auf Wunsch zu bestimmten Stichworten formulieren zu können. Benno, mit solchen Fragen vertraut, holte Papier und Stift aus der Tasche, legte beides auf den Tisch und sagte: ‚Schreib doch etwas über den Platz, über den wir gerade gegangen sind.‘ Und Johannes schrieb, ohne, wie es schien, auch nur einen Augenblick nachgedacht zu haben. Wie er darauf gekommen sei, fragte ich. ‚Das Kind‘, sagte er, ‚da lief doch dieses Kind, und es spielte mit den Streichhölzern.‘ Johannes hatte es gesehen, von uns Vieren nur er.“
Fritz Kremser, ab 1986 Kulturredakteur des SR-Fernsehens, drehte 1989 einen Film über Johannes Kühn, der stark beachtet wurde. Der Titel „Es ist mir ein Eis gewachsen ins Auge“ war einem Gedicht von J. K. entnommen.
„Es bedarf keiner Prophetie: Dieser Dichter, der von weit her kommt, wird weit zu gehen haben. Seine leise Stimme wird den literarischen Tageslärm übertönen und überdauern.“
Wulf Kirsten, Lyriker und Lektor, am 8. November 1991 bei der Verleihung der Ehrengabe der Schillerstiftung an Johannes Kühn in Weimar
„In einer allgemeinen Weise verlangt die Poesie Johannes Kühns einen vollkommenen Respekt der mikrometrischen sprachlichen Nuancen. Das Risiko ist in der Tat groß, in den Pseudo-Expressionismus oder den platten Realismus zu verfallen. Entgegen dem Anschein ist es schwierig, seine Gedichte zu übersetzen.“
Dr. Jean-Pierre Lefebvre, französischer Literaturwissenschaftler, hat Gedichte von Johannes Kühn übersetzt und in eine Anthologie deutscher Lyrik aufgenommen, die er 1993 in der berühmten „Bibliothèque de La Pléiade“ des Pariser Verlags Gallimard herausgab.
„Die Friedlichkeit seiner Dichtung hat eine unmittelbare Wirkung, wie wir sie vordem nicht erfahren haben. Sie ist das gute Beispiel dafür, dass es einem Menschen gelingt, die eigenen Schwachheiten und Schmerzen umzuwandeln ins Wunderbare, ins Tröstliche“.
Prof. Dr. Mitsuo Iiyoshi, japanischer Literaturwissenschaftler, in der Tageszeitung „Asahi Shimbun“ vom 18. Januar 1993. Iiyoshi hat Gedichte von Johannes Kühn ins Japanische übersetzt.
„Wer vergessen haben sollte, was Poesie ist – hier erfährt er es wieder.“
Rainer Kunze, Dichter, in der Mitteldeutschen Zeitung vom 10. Dezember 1997
„Wir Hasborner und Dautweiler sind stolz auf Johannes Kühn und sein Werk und möchten ihm Dank und Anerkennung für seine Lebensleistung aussprechen, die auch wesentlich zu einem bedeutenden Stück Ansehen und Bekanntheitsgrad unseres Dorfes über die Landesgrenzen hinweg beigetragen hat. Johannes Kühn hat durch seine Liebe zur Heimat und sein Verständnis für seine direkte dörfliche Umwelt ein Jahrhundertwerk geschaffen, das in den Archiven der sich rasch verändernden Dorfkultur den Platz bekommen wird, den es verdient.“
Walter Krächan, Ortsvorsteher von Hasborn-Dautweiler 1989 bis 2019
„Sein Ton schwingt zwischen dem Hymnischen und der Ironie und dem Humor, seine Gemütsskala zwischen der Klage des Einsamen und der Identifikation mit den an den Rand Gedrängten, wobei er eine kritische und niemals sentimentale Position einnimmt.“
José Luis Reina Palazón, spanischer Dichter und Hochschullehrer, der mehrere Gedichtbände von Johannes Kühn ins Spanische übersetzt hat.
„Aber just in diesem Augenblick änderte sich alles. Zusammen mit Benno Rech setzte sich Kühn an einen Tisch. Im Wechsel begannen die beiden eine moselfränkische Lesereise durch ein „Dichterleben im Dorf“. Da passieren sie Revue. „Dä Hansworschd“, „Dä Fratzemacher“, „Dä Lombesammler“, „Dä Angschthas“, „Dä Schnäpsler“. Man verstand nicht alles, aber man verstand sofort, daß hier nichts idyllisiert, geschönt, verklärt wird. „Em Guguck lauschdre“ lautet der Band, aber der Kuckuck, dem die Dichter da lauschen, kann auch ein Todesvogel sein. Und das wohl wichtigste Gedicht der Sammlung, „Die Grooß“ (Die Großmutter) kennt Verse von äußerster Sprachhärte und erfahrener Lebenskälte, die aus der Heimat den Schrecken machen, den Schrecken schlechthin.“
Jochen Hieber, Feuilleton-Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, in einer Festrede zum 65. Geburtstag Johannes Kühns am 3. Februar 1999
„Mein Kulturereignis 2000 war, dass ich Johannes Kühn für mich ganz persönlich entdeckt habe. ‚Mit den Raben am Tisch‘ bekam ich vor einiger Zeit in die Hand. Ich habe mich noch nie so sehr mit Lyrik befasst, aber dieses Buch hat mich nicht mehr losgelassen.“
Heiko Maas, Vorsitzender der SPD Saar, in der Saarbrücker Zeitung am 31. Dezember 2000. Maas wurde später saarländischer Wirtschaftsminister und stellvertretender Ministerpräsident (2012-2013) sowie Bundesminister der Justiz (2013-18) und Bundesaußenminister (2018-21).
Im Kreis von Kollegen: Johannes Kühn nach der Verleihung des Hermann-Lenz-Preises in Regensburg im Jahr 2000 mit (von links nach rechts) dem Georgier Lewan Beridse, der Russin Olga Marynova, der Ukrainerin Natalja Beltschenko, dem Österreicher Richard Obermayr sowie den beiden Deutschen Norbert Hummelt und Lutz Seiler. Diese Autorinnen und Autoren erhielten Förderpreise oder Arbeitsstipendien.
„Wir feiern mit gutem Glück einen lebenden Dichter, einen, der unter uns sitzt, der nebenan lebt und schreibt. Er kann gar nicht anders. Johannes hat einmal bekannt, dass die Verse in ihm aufsteigen, dass er ihnen lediglich als Medium dient. Dies ist eine alte Konzeption des Dichtens, eine sehr alte: der Dichter als Medium Gottes, einer, der mit gelöster Zunge spricht.“
Michael Krüger, Autor und langjähriger Verleger des Hanser-Verlags, am 22. September 2000 bei den Literaturtagen in Neunkirchen / Saar„Johannes Kühn ist für mich ein Zauberer, ein Mensch, der es immer wieder schafft, alltägliche Begebenheiten und Dinge so zu beschreiben, dass sie eine neue Qualität erhalten. Der Dichter hat hier am Schaumberg, in Hasborn, geschaut, gesonnen und geträumt. Und das, was er ersonnen und erträumt hat, hat er mit seinen Büchern hinaus in die Welt geschickt und viele damit erfreut und begeistert. Er hat unsere Region in das Dichterische erhoben. Durch ihn ist das Schaumberger Land ein Stück deutsche Literatur- und Dichterlandschaft geworden.“
Hermann Josef Schmidt, Bürgermeister von Tholey 2003 bis 2022
„Johannes Kühn war ein Außenseiter, wie sie die Literaturgeschichte zu allen Zeiten hervorgebracht hat. Er lebte in der Provinz, er pflegte den „hohen Ton", er gewahrte poetische Schwingungen, wo andere achtlos blieben. Dabei war er kein Eskapist. Wer sein Leiden an der Welt begreifen will, lese eines seiner wenigen Prosawerke: „Ein Ende zur rechten Zeit". Die finale Katastrophe, dort ist es die atomare, wurde inzwischen vom Leben überholt, allenfalls gestreckt und verwässert. Doch Johannes Kühns Projekt war nicht der Entwurf einer Dystopie, sondern vielmehr die „Rettung der Wirklichkeit“: vor der Missachtung, Verhunzung, Zerstörung. Für ihn lag die Schönheit tatsächlich im Auge des Betrachters. Die Gedichte von Johannes Kühn gehören zu den schönsten Sprachwerken, die wir besitzen.“
Armin Sinnwell, Verlagsmanager in München und Stuttgart, stammt aus Hüttersdorf und kannte den Dichter von Jugend auf – als Schüler von Benno und Irmgard Rech. 2018 brachte er im Rubicon-Verlag München Kühns Buch „Besitzlos, den Schmetterling feiernd“ heraus. Armin Sinnwell ist Vorsitzender der 2024 gegründeten Johannes-Kühn-Gesellschaft.
„Für mich sind es Gedichte, die in die Seele der Dinge dringen, ins Gemüt der Kreatur. Gedichte, die mit wenigen Strichen Leib und Gesicht der Landschaft zeigen. Ihre Sprache ist einfach, Heidegger würde sagen: Sie ist ins Einfache gesteigert. Johannes Kühns Verse lassen sehen und fühlen, wie einem zu Mute ist, wenn er liebt oder wenn er hasst, wenn er froh ist oder betrübt. Und darum geht es.“
Sebastian Kleinschmidt, Schriftsteller und Chefredakteur der Literaturzeitschrift „Sinn und Form“, in der Januar-Ausgabe 2005 des Blattes
„Was mich – auch als Germanist – beim Lesen vor allem fasziniert, sind die genauen Beobachtungen von Mensch und Natur sowie die Wortgewalt und die Wortschöpfungen, mit denen Johannes Kühn diese Beobachtungen in Beschreibungen umwandelt. Ich sehe Johannes Kühn als einen bedeutenden Künstler des St. Wendeler Landes, dessen Wirken weit über unsere Region hinausreicht.“
Udo Recktenwald, Landrat des Kreises St. Wendel seit 2008, zum 75. Geburtstag Johannes Kühns am 3. Februar 2009
„Trotz der Fokussierung auf seine Heimat sind seine Gedichte und Erzählungen universell, sie überschreiten Zeit- und Raumgrenzen. Seine Lyrik spiegelt die ganze Welt, sie schildert gleichsam ohne Hast die Natur, Menschen, Dinge und Situationen. Johannes Kühn ist ein Glücksfall für das Saarland.“
Peter Müller, Ministerpräsident des Saarlandes 1999 bis 2011, zum 75. Geburtstag Johannes Kühns am 3. Februar 2009
„Ich bin froh, dass es Johannes Kühn gibt. Ich bin froh, dass er uns immer wieder seine ganz besondere Sicht auf die Welt zu lesen gibt. Ich bin froh darüber, dass in unserer Kulturnation die leise Stimme von Johannes Kühn gehört wird.“
Horst Köhler, Bundespräsident von 2004 bis 2010, zum 75. Geburtstag des Dichters am 3. Februar 2009
„Sicher war die Einstellung der Hasborner Bevölkerung nicht immer gleich. Ein Dichter ist ja wirklich im dörflichen Ambiente ein Fremdkörper. Das wird er auch bleiben, trotz aller Anerkennung und Ehrungen. Aber das Verhalten gegenüber Johannes selbst hat sich in der Auseinandersetzung mit ihm gewandelt. Wurde er früher oft belächelt und bemitleidet und auch schon mal als Tunichtgut und Taugenichts betitelt, spricht man heute nur noch in Hochachtung von ihm.“
Hans Huth, 1954 in Hasborn geboren, studierte Bibliothekswissenschaften und leitete ab 1978 die Stadtbibliothek Lebach. Mehrfach lud er Johannes Kühn zu Lesungen ein.
„Johannes Kühn gehört keiner Schule an und passt zu keiner zeitgenössischen Gruppierung. Er hat einen originellen, konsequent eigenen Weg lyrischer Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit gefunden und ist eine unverwechselbare Stimme der Gegenwartslyrik. Als Theleyerin, die nur drei Kilometer von Kühns Heimatort entfernt ihre Kindheit verbracht hat, bin ich stolz auf diesen großen Dichter, der aber – trotz seiner Verbundenheit mit dem Schaumberger Land – nicht zum Heimatdichter abgestempelt werden darf. Johannes Kühn überschreitet die sinnlich wahrnehmbaren Grenzen zu allgemeinen Lebensräumen, in denen sich jeder heimisch oder unbehaust fühlen kann. Zwar gibt er die wiedererkennbare Realität wieder, aber indem er sie in andere Zusammenhänge stellt, vermag sich die Wirklichkeit zu verändern. Kühn ist der Enzyklopädist der Alltagswelt, der jedoch das Kleine und Alltägliche zum Weltbedeutenden zu erheben vermag.“
Prof. Dr. Birgit Lermen, emeritierte Inhaberin des Lehrstuhls für neuere deutsche Literatur an der Universität zu Köln in einem Interview 2009. Sie hat Johannes Kühn vielfach zu Veranstaltungen eingeladen und gefördert.
„Was bleibt und bleiben wird, was den Kern dieses Werks und seine bleibende Kraft ausmacht, ist die unverwechselbare Stimme dieses Dichters – die genuine, unverstellte Inspiration, die unerhörte Dringlichkeit und Evidenz, die seinem Sprechen innewohnen. Es gibt in der Geschichte der deutschsprachigen Poesie der Neuzeit wenige Dichter, die über eine vergleichbare native Begabung verfügten. Man kann sie vermutlich an den Fingern einer Hand abzählen: Goethe, Novalis, Kühns großes Vorbild Hölderlin, Rilke.“
Prof. Dr. Edoardo Costadura, Inhaber des Lehrstuhls für französische und italienische Literaturwissenschaft an der Universität Jena, 2014 zum 80. Geburtstag des Dichters. Costadura stammt aus Genua und hat Gedichte von Johannes Kühn ins Italienische übersetzt.
„Aus einem Chaos von energischen Strichbündeln, Linienpaketen und zarten Lineaturen findet er plötzlich die Linie, die ihn herausführt aus der inneren Leere und die ihn nicht mehr loslässt. Anfangs ist es eine durchgehende Linie, noch gelenkt durch das Prinzip des Zufalls, die zum Umriss wird und schießlich zur Figur. Die Gegenwart der Linie gibt ihm Vertrauen, und rauschhaft lässt er sich hineinziehen in diese Gegenwelt. Ein gütiges Feuer war angezündet in seinem Kopf. Klar und sehr entschieden macht er sich auf einen neuen Weg und erschafft sich einen ureigenen Bildkosmos, erobert sich Raum für seine bunten Fantasien.“
Francis Berrar, freischaffender Maler und Zeichner in Überherrn (Saar), im Vorwort des von ihm mit Benno und Irmgard Rech 2014 herausgegebenen Bandes „Johannes Kühn, Und es scheint, als sei im Kopf ein gütiges Feuer angezündet“. Das Werk, erschienen zum 80. Geburtstag des Dichters, enthält Zeichnungen, die dieser mit buntem Filzstift ausgeführt hat.
„Hätte der Ausdruck „Verseschmied“ im Deutschen nicht einen so abschätzigen Beigeschmack, wäre es durchaus ein Bild, mit dem, glaube ich, Johannes Kühn sich anfreunden könnte: Übte sein Großvater doch das solide Handwerk des Schmiedemeisters aus, und die Vorstellung, dass sich dieses nun auf den Enkel übertrug, der dabei jedoch statt mit Eisen an der Sprache schmiedet und keinen gewöhnlichen Pferden, sondern dem Pegasus die Hufe besohlt, ist äußerst reizvoll. Das Dichten ist jedenfalls etwas, das einen lebenslang begleitet wie einen Handwerker sein Geschick, einen Politiker seine Rhetorik, den Richter sein Gesetzbuch, die Chirurgin ihr Skalpell, die Geologin ihr Hammer oder die Ornithologin ihre Ferngläser.“
Prof. Dr. Jan Volker Röhnert, Lyriker und Hochschullehrer an der TU Braunschweig, in seiner Festrede zum 85. Geburtstag von Johannes Kühn am 3. Februar 2019 in der Kulturhalle in Hasborn-Dautweiler
„Johannes Kühn ist auf den ersten Blick kein politischer Schriftsteller. Hinter seinen Gedichten werden keine ideologischen oder moralischen Positionen sichtbar. Wer aber in ihm nur den selbstbezogenen Träumer sieht, verkennt die politische und soziale Sprengkraft des Sehers. Der Seher, das Wort „Winkelgast“ bringt es auf den Punkt, ist Außenseiter. Sein Widerpart ist der Realist, der sich eingerichtet hat in der Welt, für den die Welt klar gegliedert ist und der deshalb zu schnellen Urteilen und Handlungsanweisungen kommt. Der Dichter ist umgeben von solchen Realisten und erschüttert deren Ruhe, konfrontiert sie mit den Schattenseiten ihrer selbstgefälligen Existenz wie ihrer abgegrenzten Welt. Der Realist bemerkt nicht, dass gerade durch sein Handeln das menschliche Maß dieser Welt immer mehr verloren geht. Indem Johannes Kühn dieses menschliche Maß, den Reichtum der Erfahrungswelt des Menschen gegen die Eindimensionalität des Realisten wieder sichtbar und erfahrbar macht, wird er zum Seismographen seiner Zeit. Er ist ein Sehender nicht aufgrund einer visionären Begabung, sondern aufgrund von Sensibilität, Geduld und Kraft, kurz: eines klaren Blicks, sich den Dingen anzunähern und sich ihnen auch zu stellen.“
Prof. Dr. Bernd Scherer, gebürtig aus Scheuern (Gemeinde Tholey), kannte als Schüler von Irmgard und Benno Rech den Dichter von Jugend auf. Der promovierte Philosoph hatte leitende Positionen beim Goethe-Institut inne und lud Johannes Kühn 2003 zu einer Schriftstellerkonferenz nach Mexiko ein. Von 2006 bis 2022 war er Intendant des Hauses der Kulturen der Welt in Berlin und lehrte als Honorarprofessor an der Humboldt-Universität.
Im Urlaub am Fuschl-See im österreichischen Salzkammergut: Johannes Kühn um 2008 mit Bernd und Karin Scherer (links) und Irmgard Rech (rechts). Foto: Benno Rech
„Es gab wohl keinen größeren Meister des einfachen Wortes in der zeitgenössischen deutschsprachigen Lyrik als Kühn. Einfachheit in dem Sinne, dass Kühns Gedichte – in freie Rhythmen gefasst und ein altmodisch anmutendes Vokabular hütend, das für ihren reinen Ton unerlässlich scheint – von bezwingender Schlichtheit und Natürlichkeit sind. Frei von stilistischer Effekthascherei, aller Bemühtheit enthoben und von einer beglückenden Resistenz gegenüber allem Mediengetöse. In den Gedichten ist sein Fernseher das Fenster, aus dem er schaut; sein Chatroom ist der Himmel; seine Uhr ist die Farbgebung des versinkenden Tages; sein Reiseziel ist die schaukelnde Hecke am Abend; seine Autobahn ist der Bachlauf; sein Flugzeug ist die Libelle, ist der Rabe.“
Christoph Schreiner, Literaturkritiker, am 4. Oktober 2023 im Nachruf der Saarbrücker Zeitung auf den am Vortag verstorbenen Dichter
„Kühn war ein scheuer, eigenbrötlerisch wirkender Mensch, der seine Umgebung ebenfalls scheu machte, weil er über Stunden schweigen konnte. Wenn überhaupt, dann sprach er mit schwerer Zunge, in einem Sprachduktus, der irritierte: einerseits klar und einfach, andererseits sonderbar verschattet. Mit seiner psychischen Krankheit allein ließ sich das kaum erklären. Jedenfalls verriet der „hohe Ton“ der Gedichte, in welcher Gedanken- und Sprachwelt Kühn unterwegs war und wie intensiv er sich an klassischer Lyrik schulte. Der Autor Peter Rühmkorf sprach mal von einem „erlesenen Traditionsfaden“, und ja, Mörikes Naturseligkeit, Trakls Pathos und Hölderlins Hymnenton tauchen in Kühn-Gedichten allenthalben auf – und adeln die saarländische Heimat und deren Menschen, etwa die „schwarzen Männer“ (Bergleute), Kartenspieler in der Dorfkneipe, Bäche, Teiche, Raben, selbst ein Schuttabladeplatz und ein Schaufelbagger schaffen es in Kühns archaischen Kosmos.“
Cathrin Elss-Seringhaus, Reporterin und Redakteurin, in der Saarbrücker Zeitung am 5. Oktober 2023
„So wie ich wird jeder hier seine Erinnerungen an Johannes Kühn haben und bewahren. Erinnerungen an einen Mann, der völlig zu Recht zu den bedeutendsten Lyrikern unserer Tage zählt. An einen Mann, dem einst die Anerkennung und der Respekt fehlten, der sich vom „Winkelgast“ zu einem international anerkannten Dichter entwickelte, ohne seinen Winkel jemals so ganz verlassen zu haben. An einen Mann, der trotz seines Erfolges stets ein bescheidener Mensch geblieben ist, der sich zeitlebens eng mit seiner Heimat verbunden gefühlt hat.“
Andreas Maldener, Bürgermeister von Tholey, bei der kirchlichen Trauerfeier zur Beerdigung von Johannes Kühn am 13. Oktober in Hasborn-Dautweiler„Johannes Kühn wurde in die Welt der Bergleute und Hüttenarbeiter hineingeboren. Eine Welt von Schaffern. Da konnte es zuweilen vorkommen, dass für Poesie und Kunstschaffende kein Platz und kein Verständnis vorhanden waren. Freilich hat der Dichter am Ende des Tages Blätter beschrieben. Doch dies soll Arbeit sein? Wo ist das messbare Ergebnis? Das, was Johannes Kühn mit seiner Dichtung in den Leben, den Herzen und Seelen seiner Leser bewegt hat, ist nun mal nicht messbar. Gewiss war es für ihn wie für Jesus. Aller Augen waren auf ihn gerichtet und jener, den man doch meinte zu kennen, wollte sich nicht so recht in die Denkmuster seiner Zeit einfügen lassen. Ja, auch für Johannes Kühn gab es eine Zeit, in der man von ihm sagen konnte: ‚Kein Prophet wird in seiner Heimat anerkannt‘. Wie sehr mag ihm dann die Anerkennung der späteren Jahre gefreut haben.“
Christian Josef Kossmann, Kaplan von Hasborn-Dautweiler, in seiner Predigt beim Trauergottesdienst für Johannes Kühn am 13. Oktober 2023
„Seine Arbeitsweise unterschied sich grundlegend von der fast aller bedeutender moderner Lyriker: Er reflektierte das Schreiben selbst kaum, sondern nahm sich ein Thema, einen Gegenstand als Anlass für eruptive Entwürfe. Diese konnten großartig gelingen oder auch unbedeutend bleiben. Das Geschriebene diskutierte er anschließend mit Irmgard und Benno Rech. Wie bei einer Ernte wurde gemeinsam geprüft, sortiert und ausgesondert. Verseschreiben war für Kühn nicht mehr und nicht weniger als die ihm gemäße Lebensform. Gedichte machten aus dem Vereinzelten ein soziales Wesen. Sie waren ein unverzichtbarer Teil seiner seit früher Jugend äußerst gefährdeten Existenz.“
Jan Bürger, Literaturwissenschaftler, Autor und stellvertretender Direktor des Deutschen Literaturarchivs in Marbach, am 3. Februar 2024 im Feuilleton der FAZ. Er stellte dort in der „Frankfurter Anthologie“ Johannes Kühns Gedicht „Überblick“ vor. Der Dichter wäre an diesem Tag 90 Jahre alt geworden.
„Mit Ludwig Harig verband mich eine lange und intensive Freunschaft. Ludwig kam aus der konkreten Poesie, die damals begann, ein wenig anämisch zu werden, um nicht zu sagen: ein wenig langweilig. Da er aber in Gesprächen ein so toller Erzähler war, habe ich ihn lange und bohrend überredet, doch einmal als Erzähler sein Glück zu versuchen. So hat er mit seinen autobiographischen Büchern begonnen, die dann auch ein großer Erfolg wurden. Von seiner „Saarländischen Freude“ haben wir, hat ganz Deutschland profitiert. Wenn wir uns mit den Freunden – mit Leo Kornbrust, Hans Dahlem, Heinz Mudrich oder Eugen Helmlé, mit Arnfried Astel oder Heinz Hostnig und Fred Oberhauser und den Frauen und all den anderen – trafen, fühlte man sich im Leben, Dazu kam eine kollektive Liebe zu dem sauren Elbling, der unsere Euphorie noch gesteigert hat. Und schließlich lernte ich über Ludwig auch Johannes Kühn kennen, den Hölderlin von Hasborn – da lag es auf der Hand, diesen gewaltigen Dichter zu verlegen.“
Michael Krüger, langjähriger Leiter des Carl-Hanser-Verlages in München und als solcher auch der Verleger von Ludwig Harig und Johannes Kühn, in einem Interivew der Saarbrücker Zeitung am 9. April 2024
Zu den Quellen: So weit die Quellen nicht genannt sind, wurden die Zitate aus längeren Beiträgen in zwei Veröffentlichungen der Edition Schaumberg aus den Jahren 2009 und 2014 entnommen. Es handelt sich dabei um das EntdeckerMagazin „Johannes Kühn – Der Dichter aus dem Dorf“ (daraus die Äußerungen von Hans Huth, Horst Köhler, Walter Krächan, Fritz Kremser, Birgit Lermen, Peter Müller, Udo Recktenwald und Hermann Josef Schmidt) beziehungsweise den Band „Johannes Kühn – Und es scheint als sei im Kopf ein gütiges Feuer angezündet“ (Francis Berrar, Eduardo Costadura). Einige Texte wurden eigens für diese Website neu gefasst, alle wurden gekürzt.