Die jahrzehntelange Zusammenarbeit des Dichters mit Benno und Irmgard Rech
Benno und Irmgard Rech, der beste Freund des Dichters und seine Ehefrau, haben das Schaffen von Johannes Kühn über sieben Jahrzehnte lang begleitet und mit Ausnahme der ersten beiden Publikationen von 1957 und 1970 alle seine Gedichtbände herausgegeben. Beide waren als studierte Germanisten am Geschwister-Scholl-Gymnasium in Lebach im Lehrberuf tätig und machten mehrere Generationen von Schülern mit dem Werk des saarländischen Autors bekannt.
Viele Jahre lang traf sich meistens Benno, manchmal auch Irmgard Rech täglich außer sonntags um die Mittagszeit im Gasthaus Huth in Hasborn mit Johannes Kühn. Und jedes Mal brachte er drei neue Gedichte mit, die dann an seinem Stammplatz in der Ecke neben dem Türfang besprochen wurden. Die Erinnerung an diese symbiotische und äußerst fruchtbare Zusammenarbeit haben Irmgard und Benno Rech in zahlreichen Texten festgehalten.
Auftritt als literarisches Terzett: Johannes Kühn mit Irmgard und Benno Rech im Jahre 1999 bei der Vorstellung des Gedichtbandes „Em Guguck lauschdre“, der die gesammelten Mundartgedichte Johannes Kühns enthält. Foto: Thomas Rückher
Von Irmgard Rech
„Es ist keineswegs so, dass Johannes Kühn sich eines Tages entschlossen hätte, Naturgedichte zu schreiben. Von Kindsbeinen an war er verschwistert mit allem Lebendigen, war die Natur sein Lebensraum. Als Dorfkind kümmerte er sich um die Tiere und spielte in den Wäldern. Das Ziegen- und Kühehüten war ihm nicht lästig wie anderen Kindern.
Schon früh hat er Himmel und Erde in seiner lyrischen Schau zusammenklingen lassen. Als Gymnasiast im Missionshaus durchstreifte er, wann immer es möglich war, mit seinem Freund Benno die bergige Landschaft um St. Wendel, obgleich dies den Schülern verboten war. Sie sollten ein für sie abgegrenztes Gelände nicht verlassen. Schon damals begann er seine Naturbegeisterung in Versen auszudrücken.
Später war es für ihn selbstverständlich, alle Wege zu Fuß zu machen. Geld für Buskarten hatte er nicht. So stieg er von Hasborn über Dörsdorf und Steinbach zu uns herunter ins Theeltal nach Thalexweiler und brachte uns seine Gedichte. Zu dieser Zeit gehörte er zur Landschaft. Die Leute sahen seine Gestalt im dunklen Mantel die Bachläufe und Wiesenränder entlang gehen, ahnten aber nicht, mit welchen Augen die ihnen wenig spektakulär erscheinende Landschaft angeschaut und mit welch festlich schönen Versen sie von ihm gefeiert wurde.“
Quelle: Irmgard Rech, Heimat nenn ich den letzten Winkel tief in Wäldern (Auszug), in: Entdecker-Magazin „Johannes Kühn – der Dichter aus dem Dorf“, Alsweiler 2009, S. 18 ff., Edition Schaumberg
Von Benno Rech
28. September 1989
Buchvorstellung von „Ich Winkelgast“ in Hasborn. Michael Krüger hält die Ansprache. Er sagt, Johannes sei ein Dichter, weil er nicht unsere genormten Erfahrungen mache, sondern sehr eigene. Seine Person füge sich keinerlei Zwängen. Michael: „’Mond mein Freund’ ist eines der klangschönsten Gedichte, die ich kenne.“ Und: „Ich habe nie eine schönere Literaturfeier erlebt. Hier gehören selbst dieser Gesangverein und die Pipeband hin.“
29. Oktober 1989
Nach drei Wochen ist die erste Auflage von „Ich Winkelgast“ vergriffen. Die Versandleiterin von Hanser: „Das Buch hat sich phantastisch verkauft.“ Vielleicht wegen Fritz Kremsers Film „Es ist mir ein Eis gewachsen ins Auge“. Er wurde in vielen Dritten Programmen der Republik gesendet.
5. März 1991
Anruf von Frank Schirrmacher (Literaturchef der FAZ), nachdem wir ihm das Gedicht „Morgenimpression“ zugeschickt hatten: „Wir setzen Johannes Kühn ganz hoch an. Wir beginnen mit einer Spalte über die ganze Seite. Das haben wir zuletzt bei Enzensberger gemacht und einigen großen russischen Lyrikern. Wir bringen fünf Gedichte auf der ersten Seite des Feuilletons, voraussichtlich am Samstag. Dann wird er in aller Munde sein.“
11. Januar 1994
Zu unserer Arbeit: Wenn Johannes fragt: „Wie soll ich weitermachen?“ oder mich auffordert: „Sag doch du mal, wie es weitergehen soll!“, sage ich, solange wie möglich, gar nichts. In der Zeit denkt er weiter und setzt das Gedicht normalerweise schlüssig fort. Wenn es dann einmal nicht zu vermeiden ist, dass ich etwas sagen muß, dann spreche ich nur von meiner Erlebnisweise bei vergleichbaren Ereignissen und vergesse nicht anzumerken: „Du erlebst das sicher ganz anders.“ Dabei wird seine Schaffensenergie stimuliert, und er findet immer etwas überraschend Eigenes.
Die Besprechung der Gedichte geht fast ausschließlich übers laute Lesen vor sich: Wenn Irmgard oder mir eine Unachtsamkeit, eine Wiederholung, eine rhythmische Störung auffällt, dann lautet die stereotype Bitte „Lies mir die Strophe nochmals vor!“ Johannes merkt sehr rasch, ob etwas nicht stimmt. Dann schreibt er auch schon die verbesserte Fassung. Meist ist das dann eine neue Strophe, manchmal auch ein neues Gedicht. Johannes flickt nicht an seinen Gedichten herum, er arbeitet aus einer Gestimmtheit heraus im Blick auf das ganze Gedicht.
Alle Korrekturen sind akribisch dokumentiert und können in unserem Archiv nachgelesen werden. Es ergäbe in meinen Augen eine interessante Untersuchung, diese Prozesse aufzuarbeiten und für das Verständnis von seiner Art des Schreibens nutzbar zu machen, womöglich in einem Aufsatz, oder auch in dem Kapitel einer Dissertation. Irmgard verfährt genau so wie ich. Wir haben das abgesprochen.
14./15. Januar 1998
Übersetzertreffen in Wolxheim, Elsaß: Das Thema der beiden Tage lautete: „Wie Johannes Kühn übersetzen?“ Es waren 31 Personen gekommen. Darunter Ludwig Harig, Eugen Helmlé, Alain Lance, Jean-Pierre Lefebvre und Edoardo Costadura. Jean-Pierre Lefebvre, Germanist an der École normale supérieure in Paris, der die „Anthologie bilingue de la poésie allemande“ in der Bibliothèque de la Pléiade gemacht hat, erzählt: „Ich habe Johannes Kühn ans Ende der Anthologie gesetzt, ihn so ausführlich zu Wort kommen lassen (kein lebender Dichter hat mehr Gedichte darin), weil ich meine, das ist eine Lyrik für viele und ihr sollte die Zukunft gehören.“ Am Abend ergänzt er seine Wertschätzung: „Johannes Kühn gehört keiner Schule an, setzt die beste deutsche Lyriktradition fort. Ich wollte den Deutschen ein Signal setzen, welche Dichtung wir Franzosen besonders schätzen.“
Ein ganzer Nachmittag galt der Suche nach einem französischen Äquivalent zu dem Titel „Ich Winkelgast“. Eine überzeugende Lösung wurde nicht gefunden, nur unbefriedigende Umschreibungen.
28. Juni 2000
Johannes in der Diskussion nach einer Lesung für sogenannte Hochbegabte in Homburg: „Die beiden kennen meine Gedichte von Anfang an. Irmgard und Benno Rech haben an meine Gedichte geglaubt, als ich selber längst alles Vertrauen in sie verloren hatte. Sie haben – eigentlich gegen meinen Willen – die Gedichtbände herausgegeben und haben recht behalten. Vordem war ich bettelarm, jetzt habe ich Geld. Wissen Sie, was das heißt? Ich kann jetzt besser leben.“
7. Oktober 2004
Als Johannes beim Besuch der Buchmesse am Stand des Hanser-Verlages eintrifft, schafft Michael Krüger (wie damals im Foyer des „Parkhotel Maximilian“ zu Regensburg anlässlich der Verleihung des Hermann-Lenz-Preises an Johannes) Platz, wirft sich vor Johannes zur großen Proskynesis nieder und ruft: „Ich verehre den Dichter Johannes“.
Quelle: Benno Rech, Diese Aufmerksamkeit nach innen, Tagebuchnotizen (Auszug), in: Entdecker-Magazin „Johannes Kühn – der Dichter aus dem Dorf“, Marpingen 2009, S. 18 ff., Edition Schaumberg
Von Irmgard und Benno Rech
„Alle Gedichte dieses Bandes sind tatsächlich am Gasthaustisch geschrieben. Während des üblichen Trubels, bei ständigem Stühlerücken von Kommenden und Gehenden, bei zugerufenen Begrüßungen und Bestellungen, bei lauten Gesprächen und heftigen Diskussionen sitzt der Dichter über sein Blatt Papier gebeugt und schreibt seine Gedichte. Am liebsten ist es ihm, wenn einer von uns neben ihm sitzt, dem er sie taufrisch vorlesen kann, gespannt auf eine erste Reaktion. Seine Stammwirtschaft ist das Gasthaus Huth im saarländischen Dorf Hasborn, sie liegt für ihn gerade um die Ecke. Seit man dort auch essen kann, ist aus der früheren Wirtschaft ein Gasthaus geworden. Sein Platz ist im rechten Eck der Schankstube, damit er die Theke vor sich hat.“
Quelle: Aus Irmgard und Benno Rech, Nachwort, in: Johannes Kühn, Wasser genügt nicht, Gasthausgedichte, München 1997, Carl Hanser Verlag, S. 123
Von Irmgard und Benno Rech
„Wenn einer sein Dorf ein Leben lang nicht verlässt, es sei denn, es nötigt ihn seine lästige, aber unabweisbare Pflicht dazu, so vermutet man bei diesem Menschen eine tiefverwurzelte, von Kindsbeinen an selbstverständliche Heimatbindung. Aus vielen frühen Gedichten von Johannes Kühn spricht eine fast hymnische, noch gänzlich ungetrübte Zustimmung zu seinem Wohnort Hasborn. Als sich dann herausstellte, dass er sich seiner Veranlagung zum Dichter verschrieb und keinen Brotberuf anstrebte, wurde seine Anhänglichkeit an das Dorf einer harten Probe ausgesetzt. Unverständnis, Spott und Zurückweisung haben ihn getroffen und verletzt, konnten ihn aber nicht zur Flucht treiben. Diese komplizierte Verflechtung von Anziehung und Zurückweisung bildet den Empfindungshintergrund für den größten Teil seiner Dorfgedichte. Es sind also keine Gedichte zu erwarten, die das Dorfleben beschönigen im Sinne einer idyllischen Heimattümelei. Johannes Kühn legt in den Gedichten seine Erfahrungen mit der Dorfgemeinschaft, die aufrichtenden wie die niederdrückenden, unverhohlen offen.“
Quelle: Aus Irmgard und Benno Rech, Nachwort, in: Johannes Kühn, Nie verließ ich den Hügelring, Blieskastel 2002, Gollenstein-Verlag, S. 159
„Johannes Kühn fallen Gedichte gleichsam zu. Daher ihre erstaunliche Zahl. Er ist also kein lyrischer Tüftler. Seine Gedichte entstehen meist in einem Wurf und oft nicht am Schreibtisch, er notiert sie spontan auf einem Spaziergang, im Autobus, beim Gasthausbesuch.“
Quelle: Irmgard und Benno Rech auf der Website www.johannes-kuehn.de, die die Gemeinde Tholey 2004 dem Dichter einrichten ließ.
Von Irmgard Rech
„Lieber Johannes, heute ist hier in deiner Heimatkirche in dieser heiligen Messe, die du dir zu deinem Begräbnis gewünscht hast und die ja als Feier der Danksagung gilt, die würdige Gelegenheit gegeben, dir für deine tiefe Freundschaft zu danken. Ich tue das in unser beider Namen, ganz besonders im Namen Bennos, der sein Bett nicht mehr verlassen kann, dem du aber kurz vor deinem Tod noch die Hand drücken konntest und sie lange gehalten hast.
Du hast uns mit der Sprache deiner Verse die Sinne geöffnet für ein neues Erleben unserer Welt und damit Reichtümer geschenkt von unbezahlbarem Wert. Dein größtes Geschenk an uns war das Zutrauen, das du in uns gesetzt hast, die ersten Hörer und Leser deiner neu entstandenen Gedichte sein zu dürfen.
Ich spreche den Dank an dich auch aus im Namen der vielen Liebhaber deiner Dichtung und der zahlreichen Freunde, Freundinnen und Förderer, von denen einige zum Abschiednehmen nach Hasborn gekommen sind. Ich glaube, nicht wenige werden das Gefühl in sich spüren, dass die Welt um einen großen, wahrhaft gütigen und bescheidenen Menschen ärmer geworden ist.“
Quelle: Aus der Ansprache in der kirchlichen Trauerfeier bei der Beerdigung von Johannes Kühn in Hasborn-Dautweiler am 13. Oktober 2023. Benno Rech konnte daran wegen einer schweren Erkrankung nicht teilnehmen.