Johannes Kühn

Galerie der Gedichte

Eine Auswahl aus dem Schaffen Johannes Kühns – mit Bildern von Heinrich Popp

Die Bandbreite der Themen, mit denen Johannes Kühn sich in seinen Gedichten befasste, ist ungeheuer groß. Was er in seiner Zeit als Bauarbeiter erlebte, floss ebenso ein wie die tausendfältigen Impressionen aus dem Gasthaus oder die Wanderungen durch die Natur und die Beobachtungen im Dorf. Meist war er allein unterwegs, eine Zeitlang gesellte sich jedoch der Künstler Heinrich Popp zu ihm, der in Sotzweiler am Schaumberg geboren und aufgewachsen ist. Er begleitete ihn auf Spaziergängen, zu Lesungen oder ins Wirtshaus und fertigte dabei ein Skizzenbuch mit zahlreichen Zeichnungen, die eine überraschende, höchst phantasievolle Sicht auf den Poeten eröffnen. Heinrich Popp schenkte dem Dichter das Werk zu dessen 70. Geburtstag am 3. Februar 2004. Diesem Buch sind die hier gezeigten Bilder entnommen. Sie erschienen auch in dem 2018 veröffentlichten Gedichtband „Besitzlos, den Schmetterling feiernd“.

Hochhaus

Das Hochhaus wirkt sieggewaltig
wie ein Handgriff in den Himmel.
Stockwerk an Stockwerk dringt empor.
Am obersten Fenster stehend
sähst du spielend
auf die Rücken
von Habichten und Lerchen,
wenn sie kämen,
auch Krähen,
an den Rand der Stadt,
um es zu sehen,
um es zu umfliegen.

Auf die anderen Häuser sähst du tief hinab,
die ringsum unter ihm stehn
wie niedere Knechte.
Kalkweiß dein Gesicht
vor der Tiefe,
Hinabsturz
kein Kinderspiel,
keine Mannestat,
Tod.

Keine Furcht,
daß es selber stürzt!
Seine Wurzeln aus Stein
haben die Baumeister tief in die Erde gerammt.
Und die Wände, daß in Wohnungen sie
Sicherheit für Kind, Mann und Frau,
haben sie sorglich
aus bestem Mörtel gefügt,
Stahlstrang und Stahlstrang
zieht sich durch steinharte Haut.

Teufelsmüh schmerzte den Männern in Gelenken,
den Männern allen
an diesem Haus
in Arbeit
durch Monat und Monat,
da das Bauwerk wuchs.


Unter ihm geh ich staunend hin,
verwünsch die Bombe,
die es treffen könnte,
und bin in Kriegsangst.

Aufdämmern läßt sie ein Flugzeug,
das noch höher fliegt
als das Haus steht,
in lauter Raserei voll Raketenlärm
am Mittagshimmel.


(Dieses Gedicht schrieb Johannes Kühn am 30.1.2000, also anderthalb Jahre vor dem Ereignis.)

Der Bagger

Der gute Eisenidiot,
nun schaufelt er wieder!
Wär er im Wettkampf mit Männern,
er brächte hundert ins Hintertreffen,
und wenn ihre Schaufeln auch rauchten.
Daß wir ihn haben, ihn, der den Graben frißt
durch Schotterstraßen! Der beißt mit Wollust.
Die lang auslaufende Rüsselschnauze frißt Lehm,
speit Lehm reihan.

Als müßt es so sein,
sind Männer beim Zuschaun bestrebt,
auch keinen Löffelschlag zu versäumen.
Er ist kein Erdtier,
geboren aus Urzeit durch Leib und Leib,
der Stoßelefant aus Stahl.

Heil der Hand, die ihn fährt,
Heil dem Kopf, der ihn erfand,
doch daran denkt keiner,
in Arbeitspausen -
Bier wird getrunken,
Butterbrot wird untergekaut.

Ja, der Bagger,
sein Lärm schlägt Löcher in die Luft des Septembermorgens.


Im Gasthaus

Ins gelbe Bier
die gelbe Sonne fällt.
Die Schatten, schwarze Männer,
bellen an den Tischen.

Die weiße Wirtin eilt zum Kranen,
der verschenkt
von Gast zu Gast.
Und herber Duft
lockt Fliegen an,
die Schwärme vereinzeln sich
um kleine Tropfen auf dem Boden.

Ich Winkelgast,
gemieden,
nur besucht vom welligen Gelächter,
das als Meer mir
an die Stirne spült,
bedenke, daß mein halber Groschen schwitzt.


Die Betrunkenen und ich

Ich,
der ich nicht wie mein Vater Berghauer bin,
nicht die Arbeit des Tags
mit ihren Schultern trage
im Dorf, bin von ihnen
ins Unrecht gesetzt,
und die Betrunkenen im Gasthaus lallen es laut
und speien den Vorwurf: Was, Verse!
Es reicht ein einziger nicht,
und hundert gebündelt werden kein Strick,
nur anzubinden ein Huhn.
Was nützt ein guter Satz im Takt der Meister,
und wem der Holpervers erst, den du verzapfst,
armer Irrer, trink Bier,
daß die Lippe genetzt zu einer Frau taugt im Nachtbett,
und Kinder sollen Ergebnis sein vom Takt deines Leibs,
wir haben fünf und sieben, sind Männer,
du Elendsesel!

Was: Apfelbaum in Blüten!
Und dann entzückt sein und davon plappern!
Ach, dir gehört kein Grashalm,
kein Haselast!
Du mußt dir die dünnen Nüsse fast stehlen
im Herbst, Tagdieb!

Zum Arschabputzen
taugt Papier noch besser,
das du beschreibst.

Wenn zu Gemeindelasten
dein Kadaver zum Friedhof kommt,
ist auch die letzte Puste
um deinen Namen geweht!

O Herr, ich bin arm.
Die Betrunkenen sagen die Wahrheit,
denn sie liegt nicht im Wein allein,
in seinem Bruder,
dem Bier auch,
nur härter.
Doch Verse schrieben auch die Psalmisten
und pflanzten kein Korn.
Hab Mitleid!


Zeitung am Kaffeetisch

Riesenschmetterling in der Hand,
meine Zeitung,
damit fliege ich weit. In die Gegenden auch,
welche häßlich sind
von Kriegsleichen,
und zum Schornstein,
von dem der Putzer fiel,
und das Blut wischte Ruß von den Kleidern.

Riesenschmetterling in der Hand,
meine Zeitung,
damit fliege ich weit. Zum Hochzeitsbett
einer Königin,
wir haben sie noch in Europa,
und in einen Saal komm ich,
wo man Titel verteilt.

Viel, viel weiter als Australien
flieg ich am Kaffeetisch,
Riesenschmetterling in der Hand,
meine Zeitung.

Nun mit den Raben

Nun mit den Raben am Tisch des Lands und klagend,
sie nach Brot,
ich nach Freundschaft.

Gestorben ist die Zeit,
wo wir uns fanden,
ein Schönes anzuloben,
Tag oder Fest,
ein Mädchen,
ein neues Lied,
das in Siegsfahrt
durchs Land zog.

Es hat sich der Winter eingenistet
in Aug und Mund.
Er knechtet den Garten,
in dem wir sonst saßen,
und wo der Abendstern
gut in unsere Mitte kam.

Wissend,
daß das Alter uns weiter ändert ins Unglück,
wissend,
daß der heißeste Atem wegstirbt am rötesten Mund,
bettle ich,
stumm geworden, an keinem Himmel.


Nach dem Begräbnis

Es ist,
als halte die Sonne heut Markt
und preise an Strom, Stein und Baum,
alles ans Herz zu nehmen mit Dankesblick.

Es hat die Erde
einen Menschen mir weggeschluckt,
und sie läßt
Blumen wachsen auf seinem Grab.
Ihr Geschick,
soviel zu verschönen,
was schrecklich ist,
gab ihr der Herr
aus seinen Himmeln.

Nun,
da ich den Weg geh,
die Trauerzeit wegzuatmen,
nimmt sie mich ganz in den Griff
und schmilzt das Eis des Schreckens.

Im Ohr noch
die Röchelstimme des Sterbenden,
bewegt sie Fink und Schilf,
mich einzusingen
in leise Freude,
daß ich noch bin.
Und daß mit den Bächen
ich abstürz im Rausch des Lebens,
zwingt sie fast
mit roten Gluten.

Wo ist ihre Macht nicht
an diesem Tag?


Der Schwan

Er biß den Nebel,
er biß die scharfe Luft
und schwamm die Wellen entzwei.

Wirf du nur,
unfreundlicher Mensch,
Steine ins Wasser,
er hat für dich
keinen Blick,
rudert in die Bucht,
glänzt wie ein Schneefleck,
der ruht, als sei er da,
den Winter zu bezeugen
als treuen Freund der Jahre.

Es tröstet mich,
denn das alte Liebesblut
pocht nicht mehr in diesen Zeiten.

Der Liebesbrief
der Jugend
gelingt nicht mehr,
so weiß wie deine Federn,
Wasservogel,
war er.

Schwimm, Schwan,
erweck keine andren Erinnerungen.


Das Hausschwein

Es ist kein Stimmbandwunder,
hat keinen Stimmbandriß.
In der Rüsselschnauze,
im Speckhals, mein ich,
hat es Trompeten,
mächtige.

Sie dröhnen durch den Stall
am Abend, wenn das Tier
der Hunger sticht
sehr schmerzend
wie ein Metzgermesser.
Der Bauer kommt,
hemdsärmlig,
und es begibt sich Wichtiges,
sodaß er laut mit seiner Zunge schnalzt.
Er schüttet Fressen,
wohlriechende Kartoffeln,
gut gewärmte,
Brotkrusten,
braun in Quark,
in die Futtergrube.
Es platscht
aus großem Topf
und füllt den Steintrog,
was er gekocht.

Das wird Festfleisch,
Werktagsbraten,
das werden Würste
und Speck
und Schinken,
zweifle nicht!
Die magren Tage sind verdammenswert!
Friß, Schwein,
begabe deinen Leib
mit vielen Zentnern
lebendem Gewicht, sodaß die Waage birst,
wir duldens.

Zwei Jahre sollst du leben
ohne Namen
als Hausschwein
und jeden Tag besucht
vom Fütterer,
leg dich hin,
weiß wie ein geschältes Eichbaumstück
von einem hundertjährgen Baum,
ruh,
ruh und bemühe dich um nichts
als nur um Futter,
schwitz kein Fett aus deinen Poren,
wir dankens dir.

Beredsamkeit

Stummheit, meine Art so manchen Tag beim Vogelflug
wie beim Wettersausen
und dem Bachgeklirr,
macht mich gleich dem hohlen Baum.
Und der Mond paßt mir wie eine Krone,
und die Wolke hängt an mir herab
wie ein Fürstenmantel.

Zu dir mich wendend, an dein Haus,
werd ich beredt, sodaß ich Liebessprüche
wie ein Buch
voll Dichterversen kann.

Stummheit
ist vertan
wie Totenanmut.
So lebendig bin ich und behende,
Lerchen fühl ich mich verwandt
in der Morgenfrühe,
hoch im Blau
Seliges verkündend.


Steuern

Besteuert werden die Gedanken über Hühner,
über Gänse,
und über Frühlingsfarben
und Sonntagsfeste.
Das, was ich zusammenschrieb, besteuern sie,
nie glaubte ich daran.
Siehst du,
niemand wird je aufmerksam auf dich!
hast du gedacht. Nun zahl
für deine Träumereien.


Ein Hirt

Ich sorg für der Schafe Taggenügen
und such den Grasaufbruch
in Weiden,
ich lieb das Frühjahr,
das die Hungerzungen
meiner Lämmer heilt,
ich lieb des Mondes Öl,
die Quellen unterm Berg,
in die es fällt.

Zeit hätt ich schon, um meine Tiere zu benamen.
Doch hüt ich lieber namlose Lämmer und Träume.
Wandergelände eröffnet das Land und hat
den Blitz, den jähen: Überraschung oft
in Bild und Tag,
der spritzt aus dem Gelenk ihm,
darin sonst Ruhe wohnt.

Ich bin bei meinen Schafen
und muß nicht reisen
zu einem Zirkus,
zu keiner Kirmes, ich bin der aufgereckte Pfahl
zu aller Jahreszeit, mich reizt kein Festmahl
in der Stadt, an dem ich teilzunehmen hätt.

Viel Regenbogenbündel
und Wolkenspiele
sammle ich,
das sind meine Filme.

Zu meinem Konzert
schnaub ich tönend Atem,
summ ich wie die Mücke.

Neben meinem Hund bin ich ein Mann mit Stecken.
Doch kann in meinem zahmen Hut
ein Sperling nisten,
der grob verlachte Frosch
in meiner Hand ganz zeitfaul ruhn,
so bin ich gewogen
Verachteten.


Drachenflieger

Den Felsaufbau mit hoher Kuppe
und steilem Fall
gleich einer Mauer
seh ich so oft und bin dabei gelangweilt,
den Tag hin scheint alles mir gewöhnlich, nun steht,
daß ich erschreck, ein Mann dort oben
mit Flügeln wie ein Drachen,
nur nicht aus Haut,
bewehrt mit Krallen nicht,
es ist ein Luftglücksucher
und stürzt hinab mit einem Schwung und gleicht
sich drehend, wendend einem zahmen Tier,
das von Menschen glühende Bewunderungen sucht.
Ja, junger Mann,
das sind fünfundzwanzig gute Flugminuten,
bis du landest
am Dorf in einer angezielten Wiese,
diese Fahrt ist dir erlebenswert,
und du bedauerst, daß du einmal jünger warst,
daß du zu solchem Glück
nur Wünsche kanntest.

Zu Höhn bin ich gekommen

Zu Höhn
bin ich gekommen
und sichtbar sind die Wege,
die ich gegangen bin. Ich hab
die Heimat unbekümmert
beschrieben, sie beschreibenswert
und lobenswert gehalten. Alle Jahre
möcht ich schwören, alle Jahre.

Ich lag nicht am zugeschlossnen Fenster,
wann kommt ein Bild.
Ich bin gewandert
und hab die Landschaften
so preisenswert
befunden. Und preisenswerte Freunde habe ich erlebt,
den Baum gepriesen wie das Tal,
Zugschienen wie den Wagen,
davor die Kuh gespannt,
den Brunnen wie den Fluß,
und ich verzeih mir.


Blindschleiche

Einer Kette aus erloschenen Purpurperlen
gleicht sie, hingerollt
auf der Straße,
niemand will sie haben,
so zahm sie ist,
keine Frau.

Doch aus dem Wipfel der Fichte
stürzt herab der Rabe,
spießt sie, stürzt davon,
landet auf dem Baumstrunk
einer breiten,
lang gefällten Eiche,
verschlingt die Schlange,
und beglückt von fetter Mahlzeit,
ruft er Zufriedenheiten
seines Leibes
in den Abend.


Talent

Schmiedefeuer anzufachen und das Eisen heiß zu schmieden,
Pflastersteine in die Straße klopfen,
in den Gruben Kohle schürfen,
dazu hab ich kein Talent
noch Lust.

Abends
mit den alten Beinen
vorwärts gehend
und rückwärts blickend,
einen Mann zu finden,
der mich tadelt, geh ich aus,
brauche, aufgeregt zu sein,
einen Vorwurf.
Doch man läßt mich Narren,
läßt mich gehen.

Lichter, weit hinfliegende,
eröffnen ihre Bahnen. Keine Kriegstat
hab ich zu beklagen,
hör die Mundharmonika
Weisen spielen für den kleinen Wanderer
und kleinen Herrn.

Talent,
den Mond zu sehn,
hab ich tausendweis.


Tanzabend

Selige Paare
seh ich in den Tanzsaal gleiten,
Selige verlassen ihn zur späten Nacht,
und aus den helldurchschienenen Fenstern
klingt Musik.
Walzerweisen
sind im winterlichen Dorf
doppelt wärmend,
fliegen fröhlich über schneebedeckten Platz.
Märsche dröhnen,
Foxtrotts takten,
Tangos weinen liebesherzlich.
Wer will Trauermienen zeigen,
nicht eine,
nicht einer.
Ich steh und blick hinauf die Treppe,
die widerhallt,
ich stehe da als eisig kalter Jungegeselle
ganz ohne Geld,
tret mir die Füße warm
und spür der Nacht
als meiner Braut
spottvollen Kuß.


Altes Kaffeehaus

Die müden Beine stellte ich oft hier unter einen Tisch,
als ich noch jung war und des Landes Gegenden
von allen Seiten als ein unersättlich Wandernder beging.
Mal kam ich aus den Wäldern,
mal von den blonden Hügeln,
mal vom Bachknie her.
Ich trank Kaffee
und schrieb von meinem Weg.
Ich ernannte mich zum Dichter
und sonst niemand auf der weiten Welt.
Neugierige genoß ich mit den Blicken,
sie wollten dennoch gar nicht wissen, was ich treibe
mit Stiften und den weißen und zerknautschten Blättern.

Zigarrenkraut
rauch ich so im Garten!
Das alte Kaffeehaus
steht heute leer,
wohl weil ich darin gedichtet habe.



Riesenschmetterling in der Hand,
meine Zeitung,
damit fliege ich weit.



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